Im Juni 1991 übernahm Jaw Shau-kong die Stelle des Leiters im Amt für Umweltschutz (Environmental Protection Administration, EPA) von Eugene Chien, welcher der EPA seit dem Jahre 1987, in dem sie von einer Abteilung aufgewertet wurde, vorgestanden hatte. (Chien ist nun Minister für Verkehr und Kommunikation.) Um die Position zu erhalten, mußte Jaw aus dem Legislativ-Yüan ausscheiden, in dem er als einer der dynamischsten und progressivsten Abgeordneten galt. Bevor er 1987 Mitglied dessen wurde, diente er 1982 bis 1986 im Stadtrat von Taipei. Jaw bewarb sich um beide Positionen von einem umweltschützerischen Ansatz aus. In dem folgenden Interview, welches im letzten Jahr gemacht wurde, diskutiert er die Herausforderungen seines neuen Amtes in der EPA.
FCR: Warum haben Sie zuerst gezögert, die Position des Leiters der EPA anzunehmen?
Jaw Shau-kong: Es ist ein sehr schwieriges Amt, zumal die Menschen von der Regierung erwarten, alles zu erledigen. Jeder trug dazu bei, die Umwelt in diesen Zustand zu bringen, aber dann erwarten sie, daß sie sich zurücklehnen und die EPA dieses Problem bewältigen lassen können. Außerdem arbeitet die EPA nicht unabhängig. Wenn es nur darum ginge, daß wir unsere Arbeit gut machen, um irgendetwas zu erreichen, dann wäre das sehr einfach. Aber es ist eben nicht so. Unsere Arbeit hängt von der Zusammenarbeit vieler anderer Ministerien und Regierungsunternehmen und besonders der lokalen Regierungen ab. Wenn eine kommunale Regierung unter Druck des Stadtrates steht oder aufgrund besonderer Beziehungen zur ansässigen Industrie nur sehr zögerlich ihre Arbeit verrichtet, dann hat die EPA nicht die Autorität einzugreifen. Also ist es schwierig. Auf der anderen Seite ist es eine Herausforderung. So habe ich die Berufung letztendlich doch angenommen. Wenn man es positiv betrachtet, ist es eine Chance, etwas zu tun.
FCR: Haben Sie in der allgemeinen Haltung gegenüber dem Umweltschutz Veränderungen festgestellt, seit Sie zum ersten Mal mit Politik in Berührung kamen?
Jaw: Es wird besser. Als ich mich vor elf Jahren zum ersten Mal für das Amt eines Taipeier Stadtrates aufstellen ließ, machten sich nur wenige Leute um den Umweltschutz Gedanken. Heutzutage wissen die Menschen, daß er wichtig ist. Aber das Problem ist, daß sie nichts dafür unternehmen. Also müssen wir die Leute aufklären und anleiten, sie bitten oder sogar darum betteln, daß sie etwas tun und nicht nur darum wissen. Früher wußten die Leute nicht einmal darum. Heute sieht die Sache anders aus. Die Herausforderung liegt darin, wie man die Einstellung vom Wissen zum Handeln ändern kann. Ich denke, daß dies durch Erziehung, Unterstützung der Medien und selbst durch soziale Bewegungen herbeigeführt werden muß.
FCR: Es gibt auf Taiwan über sechzig politische Parteien, doch keine stützt sich auf ein Umweltprogramm. Warum haben wir bisher noch nicht die Entstehung einer grünen Partei erlebt?
Jaw: Ich glaube, einer der Gründe liegt darin, daß Taiwan ein Entwicklungsland und kein entwickeltes Land ist. Das heißt, daß wirtschaftliche Entwicklung immer noch die bedeutendste Sache im Kopf eines jeden ist. Das ist einer der Gründe, warum keine politische Partei sich für Umweltfragen stark macht. Die Methode hier ist da moderater. Die Chinesen versuchen, alles abzudecken, einen Kompromiß zu finden - ja, die Umwelt ist wichtig, aber Geld zu verdienen ist ebenso bedeutend. Also versuchen sie herauszufinden, wie das zusammengebracht werden kann. Dieser Gedanke ist nicht eigentlich falsch. Aber dennoch wird Umweltverschmutzung allmählich zu einem Thema für Kandidaten, die sich um kommunale Ämter bemühen.
FCR: Was sind die vordringlichsten Ziele ihres Amtes?
Jaw: Die Säuberung der Flüsse - nicht nur des Tamsui - ist eine Priorität. Zum Beispiel haben wir im Süden die Flüsse Houching und Erjen. Die andere Sache mit Vorrang ist die Luftverschmutzung, die von Autos und Motorrädern verursacht wird. So werden wir ein sehr aggressives Programm zur Verminderung dieses Problems in den Städten ausarbeiten. In Taipei beispielsweise werden 90 Prozent der Luftverschmutzung von Autos und Motorrädern verursacht. Einen weiteren wichtigen Bereich bilden die Abwässer von Fabriken.
FCR: Wie sieht das mit dem Problem der schwachen Durchsetzung der EPA-Politik sowie von Umweltgesetzen und Vorschriften aus?
Jaw: Der Grund, warum die Forcierung bestehender Gesetze so schwach ist, liegt darin, daß sie von den Kommunalregierungen ausgeführt wird. Oftmals haben die Lokalpolitiker Angst, ihre Wähler zu verärgern. Sie wollen nicht die Spielverderber sein. Und aufgrund der politischen Beiträge, wie z. B. Abgeordnete, die aus dem industriellen Sektor kommen, und der finanziellen Unterstützung von seiten der ansässigen Industrie erledigen sie diese Aufgabe nur ungerne. Vielfach wurden eifrige und hartarbeitende lokale EPA-Chefs vom Kreismagistrat entlassen, weil sie ihre Arbeit zu gut machten.
Ein herrlicher Blick entlang Taiwans unberührter Ostküste - doch die geplante Verlagerung der Zementindustrie droht, der Schönheit ein Ende zu setzen.
Wir planen die Aufstellung von drei Arbeitsgruppen, jeweils eine für das nördliche, das mittlere und das südliche Gebiet Taiwans. Wir werden unsere eigenen Inspektoren haben, die mit der örtlichen Regierung beim Inspizieren der im Gebiet ansässigen Fabriken zusammenarbeiten sollen. Und auch wenn wir nicht genug Personal haben, so werden wir doch alle uns zur Verfügung stehenden Ressourcen auf ein Gebiet konzentrieren. Wenn wir beispielsweise das Gefühl haben, daß es im Kreis Taoyuan Probleme gibt, werden wir unsere gesamte Arbeitsgruppe für drei Monate nach Taoyuan schicken, um herauszufinden, was los ist. Danach wenden wir uns einem anderen Ort zu.
FCR: Sind Sie der Meinung, daß die EPA die Autorität haben sollte, sich über andere Regierungsbehörden hinwegzusetzen, um eine Säuberung der Umwelt zu beschleunigen?
Jaw: Ich denke, daß sollte so sein. Doch werden die Leute dies wohl kritisieren und monieren, daß es gegen den Geist der Demokratie verstößt, denn jede Regierungsebene soll ihre eigenen Machtbefugnisse haben. Aber selbst in den USA ist die EPA sehr mächtig und kann sich häufig über die Regierungen der Bundesstaaten hinwegsetzen. Anfänglich respektierte sie diese Regierungen, doch stellte sich heraus, daß es einfach nicht funktionierte. Also holte sich die EPA die Machtbefugnisse zurück. Das ist es, was ich auch zu tun beabsichtige.
FCR: Premierminister Hau sagte einmal, daß es zwar gut sei, sich über die Auswirkungen des wirtschaftlichen und industriellen Wachstums auf die Umwelt Gedanken zu machen, doch sollten wir uns darüber im klaren sein, daß Taiwan ohne Industrie nicht überleben kann. Die Verwirklichung des Nationalen Sechsjahres-Entwicklungsplans ist bereits in Angriff genommen worden, und er enthält viele Projekte, die der Umwelt möglicherweise Schaden zufügen können. Was macht denn die EPA?
Jaw: Zur Zeit wartet ein Gesetzentwurf von uns auf eine Entscheidung im Legislativ-Yüan: das Gesetz über eine Umweltverträglichkeitsprüfung (Environmental Impact Assessment Bill, EIA). Sobald es angenommen ist, muß bei allen Projekten vor Baubeginn eine Beurteilung über die Umweltverträglichkeit eingereicht werden. Wir werden dann den Bericht daraufhin überprüfen, ob das Projekt umweltverträglich und innerhalb der Verschmutzungsgrenzwerte bleibt. Wenn das nicht der Fall ist, werden wir es ablehnen. Und ich möchte es noch einmal klar betonen - kein Vorhaben, das gegen unsere Politik des Umweltschutzes verstößt, wird genehmigt.
Ein System zur garantierten Einhaltung der Konstruktion ist Teil dieses Gesetzes. Wenn eine Beurteilung einmal gebilligt wurde, müssen die beauftragten Bauunternehmen einen Vertrag unterzeichnen, in dem sie garantieren, sich an die Standards ihrer Originalpläne zu halten. Wenn sie das nicht tun, werden sie bestraft. Ich werde auch die Empfehlung geben, daß ein gewisser Prozentsatz des gesamten Baubudgets, sagen wir 3 oder 5 Prozent, für Einrichtungen zum Umweltschutz beiseitegelegt wird.
FCR: Wie steht es mit den Regierungsprojekten, von denen einige Umweltschützergruppen glauben, daß sie der Umwelt Schaden zufügen werden, wie zum Beispiel die Verlagerung der Zementindustrie an die relativ unberührte Ostküste Taiwans?
Jaw: Für jedes Projekt - egal, ob es sich dabei um ein von der Regierung oder vom privaten Sektor initiiertes handelt - wird eine Umweltverträglichkeitsprüfung einzureichen sein. Wenn wir der Ansicht sind, daß es der Umwelt nicht wieder gut zu machenden Schaden zufügen wird, werden wir es ablehnen.
FCR: Das heißt, daß regierungseigene Industrien oder Projekte der Regierung keine bevorzugte Behandlung erhalten.
Jaw: Nein. Ich denke eigentlich auch, daß Regierungsunternehmungen strenger überprüft werden sollten.
FCR: In der Vergangenheit gab es nur sehr wenig offenen Protest von Leuten, deren Gesundheit oder Eigentum durch die Verschmutzung von seiten nahegelegener Industrien Schaden genommen hatte. Doch seitdem das Kriegsrecht im Jahre 1987 aufgehoben wurde, konnten wir öfter unüberhörbaren Protest erleben. Halten Sie solche Demonstrationen für wirksam?
Jaw: Natürlich, sich zu beschweren ist eine Möglichkeit für die Leute, ihre Unzufriedenheit auszudrücken, und manchmal erregt dies auch die Aufmerksamkeit der Regierung oder der Industrie. Aber es ist gelegentlich sehr schwierig, es gerade richtig zu machen. Fragen der Umwelt können sehr emotional sein. Wenn es zu hitzig wird, verliert man leicht den Fokus auf das Problem, für das man kämpft, oder das Ziel der Demonstration aus den Augen. Und dann geht es zu weit. Zum Beispiel haben wir vor kurzem Fälle gesehen, bei denen eine Fabrik zu Verbesserungen bereit gewesen wäre, doch die Demonstranten wollten nicht einlenken, weil sie dachten, daß dies einer Niederlage gleichkäme und sie so Gesicht verlören. Aber ein Kompromiß ist gegebenenfalls notwendig. Seinen Ärger oder seine Unzufriedenheit auf die richtige Weise auszudrücken, ist eine Kunst.
FCR: Regierungsindustrien sind zum großen Teil unangreifbar. Wird es für die Anwohner überhaupt möglich sein, Regierungsunternehmen auf Schadensersatz zu verklagen und auch zu gewinnen?
Jaw: Ich denke schon, besonders nach der Verabschiedung des Gesetzes über die Schlichtung von Rechtsdisputen bei Schäden durch Verschmutzung, welches sich im Moment noch im Legislativ-Yüan befindet. Dieses wird umreißen, wie auf Ansprüche bei Verschmutzungsschäden einzugehen ist. Wir in der EPA sind der Ansicht, daß dies sehr wichtig ist, also haben wir kürzlich ein Treffen mit Staatsanwälten aus ganz Taiwan zu Diskussions- und Arbeitssitzungen mit unseren Leuten abgehalten, damit diese besser über Umweltgesetze Bescheid wissen.
FCR: Ein wohlbekannter Direktor der japanischen EPA sagte vor einigen Jahren einmal, daß man dann weiß, man ist ein guter EPA-Direktor, wenn die Leute einen verfluchen, die Stadt- und Landesräte sowie die Abgeordneten einen nicht mögen, die Industrie einen haßt und man überhaupt bei jedem unbeliebt ist. Glauben Sie, daß diese Position ihre Beliebtheit beeinträchtigen kann, wenn Sie sich um die Stelle des Bürgermeisters von Taipei bemühen, sobald diese zur Wahl steht?
Jaw: Hm ... eigentlich ja. Ich war sehr lange nicht in einer solchen Situation, und ich finde mich sehr häufig in der Rolle des Spielverderbers wieder und sage den Leuten Dinge, die sie nicht hören wollen. Aber man muß es nun einmal aussprechen. Allerdings denke ich nicht, daß dies meiner Popularität in der Öffentlichkeit schaden wird. Wahrscheinlich werden mich einige spezielle Interressengruppen und Industrien nicht mögen. Jedoch nicht alle, denn es gibt viele Leute in der Industrie, die sich über die Umwelt Gedanken machen. Aber einige wollen nur Geld machen und keinerlei soziale Verantwortung übernehmen. Und jene Leute werden mich wohl ablehnen, sogar hassen. Aber ich bin der Meinung, daß die meisten Leute hinter dem stehen werden, was ich für den Umweltschutz auf Taiwan zu tun versuche.
(Deutsch von Annette Wiedenbach)